Ein kleiner Ausschnitt aus einer wirtschaftspolitischen Kolumne des Generalsekretärs des Wirtschaftsrates Herrn Wolfgang Steiger
„Früher fragten mich die Politiker: Henry, was soll ich davon halten? Heute fragen sie mich: Henry, was soll ich dazu sagen?“, mit diesen Worten beschrieb Henry Kissinger, der Altmeister der US-Außenpolitik, kurz vor seinem Tod einen grundsätzlichen politischen Wandel. In der Tat wirkt es zunehmend, als ob Teile der Politik nicht mehr auf der Suche nach Lösungen sind, sondern vielmehr nach einem medientauglichen eingänglichen Narrativ Ausschau halten – nach einer gut klingenden Geschichte. Nicht mehr die Auseinandersetzung über alternative Zukunftsentwürfe, sondern das Inszenieren von Realität im passenden Licht der eigenen Absichten, wird zum Hauptteil der politischen Arbeit. Gerade die Begleitmusik rund um die Haushaltseinigung der Ampelkoalition ist in vielen Punkten ein Musterbeispiel für Kissingers Beobachtung. Wenn die erzählten Geschichten jedoch nicht mehr mit der Realität in Einklang zu bringen sind, dann droht ein hartes Erwachen, ein gefährlicher „Merken-die-es-noch“-Moment. Lassen Sie uns nur drei Punkte exemplarisch anschauen.
Deutschland muss jetzt der Stabilitätsanker in Europa sein“, ordnete Bundeskanzler Scholz die Haushaltseinigung gleich mal ins oberste Besteckfach ein. Es geht plötzlich um nicht weniger als das Halten der letzten Stabilitätsbastion im Weltbeben zwischen Le Pen und Trump. Die Mücke hat ihren Auftritt als Elefant. Diese Selbstdarstellung kann nur Kopfschütteln auslösen. Aus zahllosen Umfragen lässt sich ablesen, dass die deutschen Bürger der Arbeit der Ampel-Regierung ein vernichtendes Urteil ausstellen. 85 Prozent der Befragten sind mit der Ampel unzufrieden und trauen ihr die Lösung von wesentlichen Problemen nicht mehr zu. Sich vor diesem Hintergrund als Stabilitätsanker darzustellen zeugt von fehlender Demut, und muss zu dem beschriebenen „Merken-die-es-noch“-Reflex führen. Auch im internationalen Kontext ist diese Tonlage vollkommen unangebracht.
Den größten „Merken-die-es-noch“-Moment erzeugt die Ampel zweifellos mit ihrem Vorschlag, einen Steuerrabatt für ausländische Fachkräfte einzuführen. Diese Idee lässt sich nicht getrennt von der Entwicklung betrachten, dass in Deutschland mittlerweile jeder zweite Bürgergeld-Empfänger kein deutscher Staatsbürger ist. Das führt zu massiven Akzeptanz-, Anreiz- und Finanzierungsproblemen. Schon Milton Friedman wusste, man könne einen Sozialstaat haben oder offene Grenzen – aber nie beides zusammen. Wenn ich dadurch nun eine zunehmend migrationsskeptische Gesellschaft habe, kann ich doch nicht einen solchen Vorschlag, der In- und Ausländer gegeneinander ausspielt, wie eine tote Katze über den Zaun werfen. Das verunsichert und zieht vollkommen unnötig neue Spaltungslinien ein. Natürlich schreckt die hohe Steuer- und Abgabenlast in Deutschland ab. Die Ampel ist gut beraten, hier entschlossen entgegenzuwirken. Aber dann bitte doch für alle.